- Stresemann, Gustav
- Stresemann, GustavAm 10. Mai 1878 in Berlin geboren, studierte Stresemann Nationalökonomie und wurde Syndikus in einem sächsischen Industriellenverband. Seit 1903 Angehöriger der Nationalliberalen Partei, wurde er 1907 Mitglied des Reichstages, 1917 Fraktionsvorsitzender. Im 1. Weltkrieg war Stresemann im Alldeutschen Verband ein Verfechter der Annexionspolitik. Nach dem Sturz der Monarchie gründete Stresemann 1918 die monarchistisch gesinnte Deutsche Volkspartei (DVP), die sich von der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) deutlich abgrenzte. Als Mitglied der Nationalversammlung und des Reichstages wandelte sich Stresemann vom Monarchisten zum Realpolitiker und Befürworter des Weimarer Staates. Als Kanzler der Großen Koalition im Krisenjahr 1923 fand er den Mut, den aussichtslosen Widerstand gegen die Ruhrbesetzung abzubrechen. Unter seiner Kanzlerschaft wurde die Inflation gestoppt und die Stabilisierung der Währung erreicht. Stresemann scheiterte als Reichskanzler am 23. November 1923 an der dem Reichstag gestellten Vertrauensfrage, er blieb aber als Außenminister vom 30. November 1923 bis zu seinem Tode am 3. Oktober 1929 in allen folgenden Kabinetten die überragende Persönlichkeit. In dieser Zeit hat er die deutsche Politik so maßgeblich geprägt, dass manche Historiker diese kurze Zeitspanne der relativen Konsolidierung der Republik auch die »Ära Stresemann« genannt haben. Die Wiederherstellung normaler Beziehungen zu Frankreich war sein Hauptanliegen, weil er erkannt hatte, dass nur auf diesem Wege die Rückkehr Deutschlands als gleichberechtigter Partner in den Kreis der europäischen Mächte erreicht werden konnte. Dazu musste dem französischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden. Das Vertragswerk von Locarno vom 16. Oktober 1925 schuf die Grundlagen für die von ihm und dem französischen Außenminister Aristide Briand in enger Übereinstimmung betriebene Aussöhnung der beiden ehemaligen Kriegsgegner. Die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund am 8. September 1926 war die Folge. In den Verhandlungen um das Zustandekommen des Kellogg-Paktes im August 1928 spielte Stresemann, neben Briand, eine maßgebliche Rolle. Beiden war am 10. Dezember 1926 der Friedensnobelpreis verliehen worden. Mit seiner sich an den Realitäten orientierenden maßvollen Revisionspolitik hat Stresemann für seine Person und für die deutsche Republik ein außerordentlich großes Vertrauenskapital in Europa und in den Vereinigten Staaten angesammelt, im innerdeutschen Bereich dagegen wurde er weiterhin von der Presse der Nationalisten als »Erfüllungspolitiker« beschimpft, selbst seine eigene Partei, die DVP, war nicht immer bereit, ihm zu folgen. Stresemann hat sich konsequent und mit größter Energie bemüht, von den Franzosen die Zusage der sofortigen Rheinland-Räumung zu erhalten. Aber auch Briand konnte ihm diese für Stresemanns innenpolitische Position so wichtige Zusage nicht geben, da er auf die in dieser Frage noch immer nicht konzessionsbereite Stimmung in der französischen Bevölkerung Rücksicht zu nehmen hatte. Als dann die Rheinland-Räumung zum 30. Juni 1930 endgültig zugesagt wurde, wenn Deutschland im Gegenzuge den Youngplan akzeptierte, da ging dieser diplomatische Erfolg Stresemanns - das genannte Datum lag immerhin 5 Jahre vor dem im Versailler Vertrag festgelegten Termin - in der zügellos-aggressiven nationalistischen Agitation gegen den Youngplan völlig unter. Kurz vor seinem Tode hat sich Stresemann einmal bitter darüber beklagt, dass ihm seine französischen Partner nicht früher und mit Rücksicht auf seine exponierte Stellung eindrucksvollere Zugeständnisse gemacht haben, die er dem deutschen Volk als beachtliche außenpolitische Erfolge hätte präsentieren können. Das hätte ihn in die Lage versetzt, der gegen ihn gerichteten Agitation wirkungsvoller entgegenzutreten und für seine Politik die junge Generation zu gewinnen, die, wie er mit Sorge feststellte, im Begriff war, rechtsradikalen Volksverführern in die Hände zu fallen.
Universal-Lexikon. 2012.